Casimir (in seiner Nusschale) |
Etwas fand ich erstaunlich, nein, geradezu absonderlich: Obwohl ich so viel nicht wusste, meinen Namen wusste ich! Ich wusste felsenfest und sicher, dass mein Name Kasimir (damals noch mit "K") sei, und dass es daran keinerlei Zweifel geben könne. Das hieß: Etwas war geschehen. Ich war da und in dieser "Was-auch-immer"-Welt, ich war nicht mehr im Orkus eines Verlorenen und Vergessenen verschwunden. Je länger ich meine Gedanken auf dieses erstaunliche Faktum richtete, um so mehr kamen mir Geschehnisse in Erinnerung, stückweise, vor meinem inneren Auge tauchten Gehwegplatten auf, Pflasterfugen, eine vom Straßenstaub vergraute ehmals weißverputzte Hauswand, welche meinem Weiterrollen im Verlorensein Einhalt geboten hatte; es tauchte eine Hand auf, welche mich vorsichtig mit zwei Fingern aufnahm, und da wusste ich es wieder, wusste alles wieder: Ich war gefunden worden!
Ich war gefunden worden, ich durfte wieder in der Welt sein, es war ein seltsamer Kindermensch, der zufällig am Orte meines Verlorenseins vorbeikam, der mich sah, der mich wahrnahm. Der mich leben ließ, weil er Liebe und Leben in so vielen Dingen sah. Oh, welch warme Woge erreichte mich nun in meiner warmen Bettstatt in der kuscheligen Ecke meines "Wo-ich-war". Es war, dass es trotz aller tiefsamtenen Dunkelheit um mich herum hell wurde in einem milden Rosenschimmer, greifbar fast für meine Hände. Ich lebte! Ich hieß Kasimir! Die Welt ist schön!
Nun wusste ich auch, was mein "Wo-ich-war" bedeutete: Es war die Jackentasche dieses seltsamen Mannes, wo ich neben den duftenden Vorfrühlingsblüten von meinem Fundort fort transportiert wurde. Ich war eingeschlafen im Geruckel und summenden Singsang der fahrenden Straßenbahn, und wurde wieder geweckt durch das Schaukeln der Jackentasche beim Gehen. Es ging irgendwo hin, und ich war gespannt, was das für ein Irgendwo war. Da kam auch schon die Hand meines Finders in die Jackentasche gefahren und holte mich mitsamt der duftenden Blüten an das Tageslicht.
Klein Häuschen im Spätwinter |
Ich
wurde neben die Blüten auf ein hölzernes Tischchen gestellt.
Ich sah mich um. Ich befand mich in einem kleinen Atelier, welches
nach zwei Seiten aus Fenstern bestand, nach einer Seite hin war eine
Außentür, nach der anderen eine Öffnung, die in einen weiteren
Raum wies. Es war hell, denn die Sonne schien durch die Fenster. Mein
Finder saß auf einem hölzernen Klappstuhl vor dem Tischchen und
betrachtete mich ausnehmend. Er schien sich zu freuen, denn seine
Augen leuchteten.
Ich
sah mich weiter um. Das Umsehen lohnte sich in diesem kleinen
Atelier, denn es waren die merkwürdigsten Gegenstände um mich
herum. Die Scheiben der Fenster zu meiner linken Hand waren teilweise
farbig, und sie steckten in schwungvollen weißen Holzrahmen. Zum
Garten hin waren drei große Fenster, welche den Ateliereindruck
hinterließen. Hinter ihnen konnte man zwei Obstbäume ausmachen, bevor sich der Blick in
unentwirrbares Gesträuch verlor.
Am
oberen Rahmen des mittleren der drei großen Fenster hing an einem
fast unsichtbaren Nylonfaden eine kleine facettierte Kristallkugel, die kleine Regenbogentropfen von Sonnenlicht in den Raum sandte.
Auf der schmalen weißgestrichenen hölzernen Fensterbank standen
einige Gegenstände: Ein großer dunkelroter Bilderrahmen aus Holz
war an das linke Fenster gelehnt. Von ihm eingefangen standen in zwei
Flaschen, einer Malzbier- und einer Olivenölflasche, zwei
Stabpuppen, deren Korpusse offensichtlich aus ausgedienten
Kochlöffeln bestanden. Sie stellten einen jungen Mann mit
Knopfaugen und Knubbelnase dar und eine schwarze Zauberin mit
Haselaugen, Muschelmund und einer blaubunten Eichelhäherfeder statt
eines Haarschopfes. Sie trug ein vielfarbiges glitzerndes Gewand und
einen Ohrring mit einem dunklen hölzernen Halbmond, auch wenn sie
keine Ohren an ihrem Kochlöffelkopf besaß.
Duftende Blüten des Spätwinters |
An den Bilderrahmen
wiederum angelehnt war eine kleine Stabhandtrommel mit zwei Holzperlen an
Bändern und einem Zebramuster auf dem Fell, welches offensichtlich
aufgemalt war. Dann kam ein Taschenschachspiel aus Holz, eine große
perlmuttschimmernde Meeresmuschel, ein kleine gläserne Schüssel,
in der sich trockene Bohnen befanden und ganz in der Ecke ein kleiner
Kaktus ohne Stacheln, silbergrau mit Fünfsternmuster, der in einem
kleinen Plastiktöpfchen zu hause war.
In
ähnlicher Anordnung von Dingen war der gesamte Raum erfüllt, und
auch der angrenzende schien in allen Ecken und auf allen Regalen das
merkwürdigste Sammelsurium zu beherbergen. So stand ich denn auf diesem hölzernen Tisch inmitten der verwirrenden Vielfalt und schaute meinen Finder an, und er schaute mich an, und so war es. . .
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen