Freitag, 27. April 2012

Der verwunschene Garten

Das Gewächshaus in Nachbars Garten
Da war ich also in meinem Blütenhochsitz und ließ mich von der Sonne bescheinen. Manchmal kam Zephyr, der milde Frühlingswind, vorbei und in wärmender Zartheit strich er um meine Wangen. Von meiner Warte aus konnte ich Garten und Klein Häuschen genauer betrachten. Noch waren die letzten Spuren des vergangenen Winters nicht verblasst, noch war trotz erster Blütenfülle das Neue eine Verheißung, noch war Beginnen in Allem.

Fröhlich war ich, und ich wunschwanderte in das Gewächshaus in Nachbars Garten, welches ich von weitem gesehen hatte und das ich unbedingt untersuchen wollte, stand verzückt vor den großen kleinen Kürbispflanzen darin, deren Blätter sich wie Sonnenschirme über meinem Haupte wölbten, um dann wieder zurück zu meiner Blütenwarte zu kommen, und um den Möven beim Flug in die blaue Ferne hinterher zu schauen. 

Schließlich wollte ich zurück ins Atelier auf meine Steinscheibe, ich hatte die Sehnsucht, wieder einzutauchen in den Dunstkreis meines Finders, der immer noch schreibend im Klein Häuschen saß. Ich winkte ihm zu, jedoch ganz offensichtlich beachtete er mich nicht, sah mich nicht einmal, wähnte mich noch immer auf meinem angestammten Platz auf der Fensterbank. Ich stand klein und verdeckt in einem Blütenbüschel, etliche Meter vom Klein Häuschen entfernt, wie sollte er mich auch erkennen? Außerdem, ich wusste ja, wenn er sich in der Welt seiner kleinen schwarzen Buchstaben aufhielt, war er für die äußere Welt kaum zu erreichen. Und sicher sah er mich jedes mal, wenn er aufblickte, auf der Steinscheibe stehen, weil er vermeinte, mich dort sehen zu müssen.


Die große kleine Kürbispflanze im Gewächshaus
Eine Traurigkeit befiel mich unvermittelt, ich dachte: Ja, so müsste es sein, wenn man verloren ist. Warum, zapperlot, klappte es mit dem Wunschwandern nicht? Noch wusste ich wenig über die Mechanismen des Wunschwanderns, ich war doch nur durch Zufall darauf gestoßen. 

Ich war in meiner Kleine-Bären-mit-blauem-Schal-Welt immer einfach gewesen, einfach da, wie ich war, wo ich war, was ich war. Noch ahnte ich nicht, dass ich durch die Berührung mit der Menschenwelt auch mit der Zweiheit und dem ihr innewohnenden Zweifel in Berührung kam. Zu einem Teil war ich kleiner Bär mit blauem Schal um den Hals, zu einem anderen Teil ein Stücklein Mensch in all seiner Verstricktheit. Das alles war Folge des Gefundenseins. Mein Sein und Wünschen war nicht mehr nur eindeutig. 

In der Zeit, in der ich von meiner Blütenwarte aus das Klein Häuschen und den Garten inspizierte, auch das Nachbarhäuschen mit Gewächshaus daneben, welches für mich hinter einer Hecke sichtbar war, in dieser Zeit hatte ich mir, fast wie einen Infekt, eine Neugierde und damit verbunden viele neue Wünsche eingefangen. Eine Neugierde auf das Gewächshaus und seine Bewohner, auch eine Neugierde auf die verschiedenen Pflanzen des Gartens.

Es gab in mir zwar eine Ahnung um Zusammenhänge, wieder war da etwas, das ich wusste, ohne es zu wissen. Oh, wenn ich diese Ahnung und dieses Wissen fixieren wollte, verschwand es in eines von hunderttausend Löchern. Es blieb nur ein leises vielfaches Echo kleiner trappelnder Füßchen, hier, da, hier, da, hier, da, hier, da. . . Mein Lauschen schweifte den Klängen in meinem Inneren nach, rechts, links, hier, da, und verlor sich alsbald, hier, da. . .

All dies verhinderte mein Wissen und Wünschen, und jedesmal, wenn Lauschen und Gedanken in dieser Echohöhle mäanderten verschwand mir diese so gewisse Welt. Wieder flog mich die Verlorenheit an, und ich empfand etwas, was mir neu war: Einsamkeit. 

Es war, als stände ich vor einem großen Bühnenvorhang aus schweren, dunklen Damast, und keine Macht der Welt konnte ihn öffnen und mir die große Bühne zeigen. Es wurde dunkel um mich, es schien die Blütensonne, doch verschwand dieser Teil der Welt, und in mir wurde es Nacht. Alles in mir schwieg. 

Als es um mich wieder hell ward, erwachte ich in der sammet-filzigen Hülle der großen Königskerzenrosette, gebettet in Flaum, der mich an der Seite kitzelte.

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